AU­TOREN

KLAUS MERZ
Schrift­stel­ler

Ge­bo­ren 1945 in Aar­au, zählt zu den prä­gen­den Stim­men der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur. Sei­ne Wer­ke wur­den in vie­le Spra­chen über­setzt und mit re­nom­mier­ten Prei­sen im ge­sam­ten deutsch­spra­chi­gen Raum ausgezeichnet.

SAN­DRO ZOLLIN­GER
Buch & Regie

Ge­bo­ren 1975 in Aro­sa, stu­dier­te nach sei­ner Aus­bil­dung als Treu­hän­der Film- und Me­di­en­theo­rie in Ber­lin. Seit 2004 ar­bei­tet er als un­ab­hän­gi­ger Film­schaf­fen­der und Zu­kunfts­for­scher. Er ist Mit­in­ha­ber von «Mon­te­zu­ma». In sei­nen mehr­fach aus­ge­zeich­ne­ten Ar­bei­ten be­schäf­tigt er sich ein­dring­lich mit der Su­che nach in­no­va­ti­ven Er­zähl­for­men und neu­en Perspektiven.

RO­MAN VI­TAL
Mon­ta­ge & Regie

Ge­bo­ren 1975 in Aro­sa, stu­dier­te an der Film­aka­de­mie Ba­den-Würt­tem­berg Mon­ta­ge und Do­ku­men­tar­film. Seit 2006 ar­bei­tet er als frei­er Pro­du­zent, Re­gis­seur und Film­edi­tor in Zü­rich. Er ist In­ha­ber von «Tur­a­co Film­pro­duk­ti­on». Sei­ne mehr­fach preis­ge­krön­ten Ar­bei­ten set­zen sich nach­drück­lich mit ge­sell­schaft­li­chen The­men auseinander.

IN­TER­VIEW San­dro Zollinger

Eu­er Vir­tu­al Rea­li­ty Werk «LOS» ist nicht ein­fach zu ver­or­ten. Ist es ein au­dio­vi­su­el­les Hör­buch? Ei­ne Literaturverfilmung?

Ehr­lich ge­sagt fehlt mir auch noch ein wirk­lich grif­fi­ges La­bel. Tech­nisch ge­se­hen ist es ein 360° Film. Doch durch die künst­le­ri­sche Aus­drucks­form ent­steht et­was ganz Ei­ge­nes, das so noch nicht um­ge­setzt wur­de.
Un­ser Ziel war es, ei­ne Sym­bio­se zwi­schen Li­te­ra­tur und Vir­tu­al Rea­li­ty zu fin­den, wie wir sie aus der Na­tur ken­nen. Ein Zu­sam­men­ge­hen von zwei ei­gen­stän­di­gen Ar­ten zu ih­rem ge­gen­sei­ti­gen Nut­zen. Dar­aus ist ein Vir­tu­al Rea­li­ty Le­sung ent­stan­den, wür­de ich sa­gen, oder ei­ne vir­tu­el­le Lesereise.

Wie bist du auf die­se Idee gekommen?

Ich möch­te im­mer Ge­schich­ten er­zäh­len, die mehr­deu­tig sind, die her­aus­for­dern, die nach­hal­len. Seit dem Auf­tau­chen von Vir­tu­al Rea­li­ty hab ich mich da­mit be­schäf­tigt, wie mit die­sem Me­di­um zu er­zäh­len ist.
Den vom kon­ven­tio­nel­len fil­mi­schen Er­zäh­len her ge­se­hen gibt es ei­nen fun­da­men­ta­len Un­ter­schied: In Vir­tu­al Rea­li­ty über­nimmt der Zu­schau­er ei­nen Teil der Re­gie. Denn er kann hin­schau­en, wo er will, er wählt sei­nen Bild­aus­schnitt selbst.
Beim Er­zäh­len will ich, als Re­gis­seur je­doch die Kon­trol­le. Ich will, dass das für die Ge­schich­te Wich­ti­ge ge­se­hen wird. So kom­me ich beim Er­zäh­len mit Vir­tu­al Rea­li­ty nicht drum her­um, die Auf­merk­sam­keit des Zu­schau­ers im­mer so­zu­sa­gen in die Rich­tung der Ge­schich­te zu len­ken. Ich muss al­so auf die ei­ne oder an­de­re Wei­se im­mer wie ein Rei­se­füh­rer auf ei­ner Stadt­rund­fahrt win­ken: Hier gibt es was zu se­hen, da ist die Ge­schich­te.
Um die­sem Um­stand ra­di­kal aus­zu­wei­chen, ist die Idee ent­stan­den, die Ge­schich­te vor­ran­gig mit Wor­ten in Form ei­ner li­te­ra­ri­schen Le­sung zu er­zäh­len und mit­hil­fe von Vir­tu­al Rea­li­ty At­mo­sphä­re und Ge­füh­le darzustellen.

Wo­von han­delt «LOS»?

«LOS» ist die Ge­schich­te ei­nes Man­nes, der al­lei­ne zu ei­ner Wan­de­rung in die Schwei­zer Ber­ge auf­bricht und in ei­nem Schnee­sturm ver­un­fallt. Sein na­hen­des En­de vor Au­gen macht er sich Ge­dan­ken über das Le­ben und den Tod. Im Kern geht es da­bei um Ver­gäng­lich­keit, ums Ab­schied­neh­men und dar­um, den Frie­den zu fin­den.
Und ge­ra­de weil die Ge­schich­te aus der Per­spek­ti­ve des To­des er­zählt wird, er­scheint das Le­ben in ei­nem an­de­rem Licht. Es wird un­schätz­bar wert­voll und re­la­ti­viert sich zu­gleich auf be­frei­en­de Weise.

Der Ti­tel, eins zu eins von der Er­zäh­lung von Klaus Merz über­nom­men, bie­tet Spiel­raum für In­ter­pre­ta­tio­nen. Was ist dei­ne Lesart?

«LOS» be­deu­tet für mich Auf­bruch. Jetzt geht’s los, jetzt kommt es dar­auf an – aber auch das Los­las­sen klingt mit an.

Die Ge­schich­te führt den Prot­ago­nis­ten in die Ber­ge. Was be­deu­ten die Ber­ge für die Schwei­zer Identität?

Für die Schwei­zer sind die Ber­ge Mar­ken­zei­chen und Sehn­suchts­ort zu­gleich. Das Selbst­bild des Schwei­zers ist von den Ber­gen und dem Le­ben in den Ber­gen ge­prägt, ob­wohl die meis­ten Ein­woh­ner in Städ­ten im Flach­land woh­nen.
Auch «LOS« ist ge­prägt von die­ser Berg­welt. Sie ist das Ziel von Pe­ter Tha­lers Wan­de­rung und ist prä­sent in sei­nen Er­in­ne­run­gen, z.B. an die ob­li­ga­to­ri­schen Schul­aus­flü­ge in die Ber­ge – bis heu­te Pflicht­pro­gramm ei­nes je­den Schwei­zer Schü­lers – oder an «Hei­di», die welt­be­kann­te Kin­der­ge­schich­te von Jo­han­na Spy­ri oder an den Text der Schwei­zer Na­tio­nal­hym­ne, in der sich zu Be­ginn gleich ein­mal der Al­pen­firn rötet.

Ne­ben den Ber­gen spielt das Meer in «LOS» ei­ne aus­ge­präg­te Rol­le. Wie ist es da­zu gekommen?out?

Die Spur ist be­reits im Buch ge­legt und uns er­schien es wich­tig, zu den Ber­gen, dem Ort der Hand­lung, ein Ge­gen­ge­wicht zu set­zen. Wie es der Tod für das Le­ben ist.
In ei­ner Stel­le des Tex­tes er­in­nert sich Tha­ler, wie er erst beim Tau­chen im Meer die Ber­ge zu schät­zen lern­te. Erst als er die­ses Ge­gen­ge­bir­ge un­ter Was­ser sieht, wie er es nennt, wird ihm klar: «Auch der Fels ist al­so ver­wüst­lich, end­lich, Flug­sand wie er sel­ber auch».

Ge­gen En­de, nach den letz­ten Wor­ten der Er­zäh­lung, er­zählt ihr so­zu­sa­gen über den Tod hin­aus. Wie ist die­se ein­drück­li­che Pas­sa­ge entstanden?

Uns war klar, dass die Ge­schich­te nicht mit den letz­ten Wor­ten der Er­zäh­lung en­den konn­te – was da­zu führ­te, dass wir ei­ne Dar­stel­lung für den Tod fin­den muss­ten. Es war uns aber auch klar, dass es da­für kei­ne vi­su­el­le Lö­sung gab. So ha­ben wir uns dar­auf kon­zen­triert, ei­nen Zu­gang über den Ton zu fin­den.
Am En­de ei­nes lan­gen Pro­zes­ses sind wir dann beim Mo­nochord ge­lan­det. Ei­nem Klang­in­stru­ment mit meh­re­ren, auf den glei­chen Ton ge­stimm­ten Sai­ten. Wenn man mit den Fin­gern über die Sai­ten streicht, ent­steht ein Klang­tep­pich, ei­ne Ab­fol­ge von glei­chen Tö­nen, de­ren Ton­wel­len sich gra­du­ell über­la­gern und zu­fäl­li­ge Ober­tö­ne ent­ste­hen las­sen. Die­se Ur-Tö­ne
wer­den ganz un­ter­schied­lich wahr­ge­nom­men: Die ei­nen hö­ren Blas­in­stru­men­te, an­de­re Ge­sän­ge, doch al­len ge­mein­sam ist ein Emp­fin­den ei­ner über­ge­ord­ne­ten, über­sinn­li­chen Har­mo­nie. Da­mit hat­ten wir ei­ne uns zu­läs­sig er­schei­nen­de und pas­sen­de Dar­stel­lungs­form für den Tod ge­fun­den.
Ich bin im­mer noch über­rascht und auch ein we­nig stolz, dass wir in ei­nem so bild­ge­wal­ti­gen Me­di­um wie Vir­tu­al Rea­li­ty fast ein­ein­halb Mi­nu­ten in ein kon­tur­lo­ses Schwarz ein­tau­chen und nur mit ei­nem Klang­in­stru­ment wei­ter­erzäh­len. Wir sind da ein Wag­nis ein­ge­gan­gen, wie so vie­le bei der Rea­li­sa­ti­on von «LOS».

Wie funk­tio­niert ein 360° Dreh und wie un­ter­schei­det er sich von ei­nem her­kömm­li­chen Film-Dreh?

Wir ha­ben mit sechs Ka­me­ras gleich­zei­tig in al­le Rich­tun­gen auf­ge­zeich­net. So ein­steht ein Bild in Ku­gel­form, ei­ne Sphä­re, und die Po­si­ti­on der Ka­me­ras ist die Po­si­ti­on, wel­che der Zu­schau­er, wenn er das VR-Set auf­setzt, im vir­tu­el­len Raum ein­nimmt.
Ein si­gni­fi­kan­ter Un­ter­schied zum Film-Dreh be­steht dar­in, dass bei ei­ner 360° Auf­nah­me al­les im Bild ist. Al­so müs­sen der Ka­me­ra­mann und das ge­sam­te Team ver­schwin­den. Bei der Auf­nah­me des Zim­mers war dies leicht zu be­werk­stel­li­gen. Ka­me­ra ab und al­le ver­las­sen den Raum. Aber beim Schnee­sturm zum Bei­spiel muss­ten wir uns mit Schau­feln in den Schnee ein­gra­ben.
Viel­leicht noch ei­ne An­ek­do­te da­zu: Ei­nen Teil der Un­ter­was­ser­auf­nah­men dreh­ten wir im Mit­tel­meer in ei­ner Bucht in Grie­chen­land. Ich plat­zier­te die Ka­me­ras tau­chen­der­wei­se auf den Mee­res­bo­den und schwamm na­tür­lich so­fort weg, um ja nicht im Bild zu sein. Als ich mich in si­che­rer Di­stanz um­dreh­te, fiel mir auf, dass ich mir nicht ge­merkt hat­te, wo ich die Ka­me­ras ge­nau ver­senkt hat­te. Von der Was­ser­ober­flä­che aus wa­ren sie nicht mehr zu er­ken­nen und so hiess es: Tau­chen und su­chen. Und plötz­lich wird ei­ne klei­ne, lau­schi­ge Bucht grös­ser als man denkt. Nach gut ei­ner Stun­de hiel­ten wir aber das wert­vol­le Stück Equip­ment wie­der in un­se­ren Händen.

Wie muss man sich den Dreh­pro­zess vor­stel­len? Wie lan­ge hat er gedauert?

Ei­gent­lich von der Idee weg bis weit in den Schnitt­raum hin­ein. Wir ha­ben im­mer wie­der Auf­nah­men ge­dreht und sie ge­ra­de auch im Zu­sam­men­spiel mit der Li­te­ra­tur an­ge­schaut. Und aus den da­bei ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­sen her­aus ha­ben wir Sze­nen noch­mals ge­dreht, ei­nen an­de­ren Ka­me­ra­stand­ort ge­wählt oder auch ei­nen an­de­ren Dreh­ort.
Zum Bei­spiel hat­ten wir ei­ne herr­li­che Früh­lings­sze­ne ge­dreht und dach­ten, die ist per­fekt. Aber als wir grob das Ti­ming im Ab­lauf mit Text ge­schnit-
ten hat­ten, schien uns die Stim­mung zu früh­lings­haft. Wir er­kann­ten, dass mehr Ver­bin­dung zum Win­ter nö­tig war. Ich hat­te dann ein Bild vor mir, wie die ers­ten Kro­kus­se durch die schmel­zen­de Schnee­de­cke bre­chen und so sind wir ein Jahr spä­ter noch­mals in die Ber­ge und dreh­ten ei­ne neue Sze­ne.
Be­ein­flusst hat den Dreh­pro­zess auch der Um­stand, dass wir die Auf­nah­men nicht, wie im di­gi­ta­len Zeit­al­ter ge­wohnt, vor Ort an­se­hen konn­ten. Die sechs Ein­stel­lun­gen muss­ten da­für zu­erst im Com­pu­ter zu­sam­men­ge­führt wer­den. Das ver­leiht dem Dreh­pro­zess et­was Ana­lo­ges: Der Film ist im Kas­ten, doch erst nach dem Ent­wi­ckeln, sieht man in der VR-Bril­le, wie die Auf­nah­me ge­lun­gen ist.

Was wa­ren die Her­aus­for­de­run­gen in der Post­pro­duk­ti­on? Wel­che grund­le­gen­den Fra­gen ha­ben sich im Schnitt gestellt?

Sehr zeit­in­ten­siv war das «Stit­ching», das naht­lo­se Zu­sam­men­fü­gen der Ein­stel­lun­gen zu ei­ner Sphä­re. Das ist ein kom­ple­xer Work­flow mit viel Hand­ar­beit, oft­mals Frame um Frame.
Der Schnitt in Vir­tu­al Rea­li­ty un­ter­schei­det sich frap­pant vom Film­schnitt. Da VR kein pro­ji­zier­tes, son­dern ei­ne Art phy­si­sches Bil­d­er­leb­nis ist, ist die Auf­fas­sung von Raum und Zeit ei­ne völ­lig an­de­re. Sie ist viel nä­her an un­se­rer rea­len Wahr­neh­mung.
Im Film­schnitt sind dem Spiel mit Raum und Zeit kaum Gren­zen ge­setzt. Über ei­nen har­ten Schnitt kann ich pro­blem­los von Pa­ris nach Lon­don sprin­gen oder 20 Jah­re in die Ver­gan­gen­heit. Das ist in Vir­tu­al Rea­li­ty völ­lig an­ders, da hier nicht von Bild auf Bild ge­schnit­ten wird, son­dern von Raum zu Raum.
Das stellt ge­ra­de im Sze­nen­wech­sel ei­ne be­son­de­re Her­aus­for­de­rung dar. Wie brin­ge ich den Zu­schau­er, der sich un­ter Was­ser be­fin­det, mit­ten in ei­nen Schnee­sturm, oh­ne dass er aus dem Er­leb­nis her­aus­ge­ris­sen wird? Dass Raum und Zeit für ihn wei­ter plau­si­bel er­schei­nen? Um dies zu er­rei­chen, ha­ben wir aus­schliess­lich mit über­lan­gen, trans­for­mie­ren­den Über­blen­dun­gen und ei­nem aus­ge­klü­gel­ten Sound­de­sign gearbeitet.

Wir ha­ben ja schon ein we­nig über die ein­ge­setz­te Mu­sik ge­re­det – aus­schliess­lich Klang­in­stru­men­te. Sie sind aber nur ein Teil des ge­sam­ten Sounddesigns?

Das Sound­de­sign ist im­mens wich­tig, da­mit das Ein­tau­chen in die vir­tu­el­le Welt als re­al wahr­ge­nom­men wird. Der Pro­zess zum end­gül­ti­gen Sound­de­sign lief grob so, dass wir erst­mal Ideen rein­ge­packt und dann fort­lau­fend aus­ge­dünnt ha­ben – ganz nach der Ma­xi­me: we­ni­ger ist mehr.
Und für die Auf­nah­me der Le­sung – auf Deutsch mit der Stim­me von Klaus Merz – war es uns wich­tig, ei­ne gleich­blei­ben­de Prä­senz zu er­rei­chen, im­mer das Ge­fühl zu ver­mit­teln, dass aus ei­nem Buch vor­ge­le­sen wird.

Wie geht es jetzt für Dich weiter?

Im Ja­nu­ar 2020 dür­fen wir mit «LOS» un­se­re Welt­pre­mie­re am re­nom­mier­ten Sun­dance Film­fes­ti­val be­strei­ten und für da­nach pla­nen wir be­reits ei­ne Tour­nee, die LOS ne­ben wei­te­ren Film­fes­ti­vals auch an Li­te­ra­tur­fes­ti­vals, Kunst­mu­se­en oder Schu­len brin­gen wird.
Aus­ser­dem bin ich in der Ent­wick­lung ei­nes Ki­no-Do­ku­men­tar­films über die Su­che nach der Wahr­heit und spie­len auch mit dem Ge­dan­ken, ei­ne wei­te­re li­te­ra­ri­sche Vor­la­ge mit Vir­tu­al Rea­li­ty zu verbinden.

07. Ja­nu­ar 2020 — Bar­ba­ra Simpson


AN­MER­KUN­GEN & IN­TER­VIEW
Klaus Merz

Das au­dio­vi­su­el­le Neu­land be­tre­tend, schla­gen mich be­son­ders je­ne Film­bil­der in Bann, die mein ei­ge­nes Buch­sta­ben- und Ima­gi­na­ti­ons­ge­häu­se weiten:

So zieht mich die Wol­ken­spi­ra­le am An­fang von Tha­lers «Gang ins Ge­birg» un­will­kür­lich in die Tie­fe der Zeit, zu den le­gen­dä­ren Ur­ne­beln hin­ab. Oder ich tre­te in Hen­ri de Tou­lou­se-Lautrecs spä­tes Ge­mäl­de «Deux che­va­liers en ar­mu­re» fast leib­haf­tig ein, das Ge­sche­hen um­gibt mich, ich rü­cke sel­ber vor, mit den Reitenden.

Zum Schluss dann noch das zar­te Vi­brie­ren der Kro­kus­se im auf­kom­men­den Früh­lings­wind, der die kal­ten Res­te des Schnees lang­sam zum Schmel­zen bringt. Neu­es Le­ben. Und ein wei­te­rer gül­ti­ger Schritt über mei­ne li­te­ra­ri­sche Vor­ga­be hinaus.


Wie emp­fan­den Sie die Ko­ope­ra­ti­on mit San­dro Zollinger?

Da war von An­fang an «ein stim­mi­ger Ton» zwi­schen uns — im Um­gang mit «Mensch und Ma­te­ri­al» al­so. Es war kein Über­gang in «frem­de Hän­de», son­dern sorg­fäl­ti­ge Su­che nach Entsprechungen.

Für die Vir­tu­al Rea­li­ty Ad­ap­ti­on wur­de ih­re be­reits äus­serst dich­te Er­zäh­lung noch­mals ge­kürzt? Was hal­ten sie von de­ren Text- und Bildauswahl?

Sie be­weist für mich im­mer wie­der aufs Neue, ei­nen un­trüg­li­chen Blick für den «ro­ten Fa­den» der Er­zäh­lung und bei je­dem Wi­der­er­le­ben bin ich mehr Ein­ge­nom­men von der gül­ti­gen An­rei­che­rung mei­nes Textes.

Wo­her rührt Ih­re un­ge­wöhn­li­che Of­fen­heit dem neu­en Me­di­um gegenüber?

Die Pas­si­on von San­dro Zollin­ger und sein um­sich­ti­ge Her­an­ge­hen an mei­nen Stoff hat mich überzeugt.

In «LOS» be­schrei­ben sie ein Spät­werk von Hen­ri de Tou­lou­se-Lautrec. Wel­che Be­deu­tung hat das Bild für sie in ih­rer Erzählung?

Tou­lous-Lautrecs Bild, ei­nes sei­ner letz­ten eben, bringt zum Schluss noch ein­mal al­le The­men und Far­ben der Er­zäh­lung zum Vi­brie­ren – was in der Vir­tu­al Rea­li­ty Um­set­zung viel­leicht noch greif­ba­rer wird als in der rein li­te­ra­ri­schen Form.

Wie ha­ben sie ih­re ers­te vir­tu­el­le Le­sung erlebt?

Die Zu­hö­re­rIn­nen in vol­ler VR-Mon­tur mach­ten mir ei­gent­lich rasch deut­lich, was auch in nor­ma­len Le­sun­gen der Fall ist: Es sit­zen lau­ter ein­zel­ne Men­schen im Saal, und der Weg zu ih­ren Her­zen und Ge­dan­ken ha­ben wir mit un­se­ren je­wei­li­gen Me­di­en na­tur­ge­mäss nur zum Teil «in der Hand».


AN­MER­KUN­GEN
Mon­te­zu­ma

«LOS» ver­bin­det ge­konnt Li­te­ra­tur und Vir­tu­al Rea­li­ty und setzt sich ein­drück­lich mit ei­nem The­ma aus­ein­an­der, das uns al­le be­trifft. Die atem­be­rau­ben­de Le­se­rei­se regt die Zu­schau­er an, über die Ver­gäng­lich­keit, über das Le­ben und den Tod zu sin­nie­ren und be­rührt auf wun­der­sa­me Weise.

Von Be­ginn an wa­ren wir über­zeugt vom Vor­ha­ben, mit Vir­tu­al Rea­li­ty ei­nen mo­der­nen Zu­gang zur Li­te­ra­tur zu schaf­fen. Und gleich­zei­tig ei­ne neu­ar­ti­ge Form des Er­zäh­lens mit Vir­tu­al Rea­li­ty zu ent­wi­ckeln, die nicht pri­mär auf den Ef­fekt setzt, son­dern den Ef­fekt ein­setzt, um ei­ne tief­sin­ni­ge Ge­schich­te zu erzählen.

Ei­ne be­son­de­re Qua­li­tät für das Pu­bli­kum liegt da­bei im Um­stand, dass al­le zwar der glei­chen Ge­schich­te fol­gen, doch nicht das Glei­che se­hen und emp­fin­den, was im Nach­hin­ein zu an­ge­reg­ten Un­ter­hal­tun­gen führt. Ge­nau das, was wir mit al­len un­se­ren Pro­duk­tio­nen er­rei­chen möchten.

«LOS» hat das Po­ten­ti­al ein ge­gen­sätz­li­ches und viel­schich­ti­ges Pu­bli­kum an­zu­spre­chen: Di­gi­tal Na­ti­ves und Le­se­rat­ten, Bü­cher­muf­fel und VR Neu­ling vom Schü­ler bis zum Rentner.

Das Zeit­lo­se des The­mas und die Fas­zi­na­ti­on ei­nes neu­en Me­di­ums ver­spre­chen ei­ne lang­fris­ti­ge und viel­sei­ti­ge Aus­wer­tung über ver­schie­de­ne Kanäle.